YARA
MACH WAS DRAUS!
Ob ihr es glaubt oder nicht: 2020 war für mich das beste Jahr meines Lebens. Diese erste Phase der Pandemie hat mich und meinen Blick auf viele Dinge verändert. Ich bin stärker geworden.
Als Jordanierin habe ich in meinem Land eine der härtesten Ausgangssperren weltweit erlebt. Obwohl es nur einen (!) bestätigten Corona-Fall gab, schloss die Regierung am 15. März 2020 alle Grenzen und Flughäfen. Zwei Tage später wurde das öffentliche Leben komplett heruntergefahren - die Reaktion auf die rasante Ausbreitung des Virus in unseren Nachbarländern. Wir durften das Haus nicht mehr verlassen. Aus Bussen wurden Wasser, Brot und Grundnahrungsmittel an den Haustüren verteilt. Alles andere musste online bestellt werden. Öffentliche Verkehrsmittel fuhren nicht mehr und es war strikt verboten, das Auto zu benutzen. Dazu muss man wissen, dass wir in meinem Land mit kontinentalem Wüstenklima alles mit dem eigenen Wagen machen. Wir fahren ins Restaurant, ins Fitness-Studio, in die Mall, zum Treffen mit Freunden etc. Anders als in Europa, wo man vieles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen kann.
Als Studentin der Informationstechnik hatte ich keine großen Probleme mit dem Einrichten des Online-Unterrichts für mich und meine vier Geschwister. Trotzdem war es hart, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Zunächst war die Rede von zwei Wochen Lockdown, dann wurde auf zwei Monate erhöht. Nur die lokalen Lebensmittelgeschäfte durften von 10 bis 18 Uhr wieder öffnen. Alles andere spielte sich weiterhin zuhause und online ab. Erst ab August wurden die Einschränkungen nach und nach aufgehoben. Die Regierung sagte: „Unsere Wirtschaft geht in die Knie, ihr müsst jetzt für euch selbst sorgen.“
Es waren sehr schwierige Monate. Bald aber habe ich verstanden, dass Lamentieren nicht weiterhilft und dass wir lernen müssen, unsere Zeit sinnvoll zu nutzen. Das Leben war schließlich nicht zu Ende. Von da an habe ich unglaublich viel gemacht und erreicht. Ich habe an meinem Abschlussprojekt gearbeitet und die Verteidigung meiner Diplomarbeit vorbereitet. Ich habe zwei Stipendien bekommen, war Teamkoordinatorin für den HULT-Prize Wettbewerb 2020, den weltweit größten Studentenwettbewerb für soziales Engagement. Und ich habe ganz nebenbei realisiert, dass ich auch via Internet neue Freundschaften schließen kann.
Vor der Pandemie war ich eher scheu. Heute bin ich selbstbewusster und weiß, was ich will. Ich mag es, zu lernen und Neues zu entdecken. COVID hat uns gezeigt, dass die Umstände sich von heute auf morgen ändern können. Vielleicht ist es deshalb gar nicht so wichtig, zu planen, wo ich in fünf Jahren stehen will. Es ist wichtig, heute das zu tun, was mich weiterbringt und mir Freude macht.
Ich bin jetzt im letzten Jahr meines Studiums und das verbringe ich in Deutschland. Bislang durfte ich ohne große Einschränkungen Land und Leute kennenlernen. Da habe ich großes Glück. Eine Freundin hat hier im letzten Jahr nur ihr Studentenzimmer von innen gesehen. Sie kam mich neulich für eine Woche besuchen und wir haben zusammen das Land bereist.
17. November 2021

Yara (22) ist Studentin der Informationstechnologie an der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman, seit September an der Hochschule Trier.