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Wilson

DER GAST

Als Anfang 2020 alles begann, dachten wir daran, nach Brasilien zurückzukehren. Wir fühlten uns nach einem Jahr in Deutschland noch nicht sicher mit der deutschen Sprache und im Alltagsleben. Viele Informationen erreichten uns einfach nicht. Zuhause hätten wir sofort gewusst, dass das Klopapier knapp wird. Hier standen wir im Supermarkt vor leeren Regalen und verstanden die Welt nicht mehr. Aber der Job ließ eine Rückkehr nicht zu.

 

Meine Frau und ich arbeiten in einem multinationalen Umfeld bei den Vereinten Nationen in Bonn. Die meisten dort haben viel von der Welt gesehen, waren aber  nicht darauf vorbereitet, eine solche Krise zu meistern. Auch wir mussten uns zunächst an das Homeoffice-Dasein gewöhnen. Das war mühsam, weil unsere kleine Wohnung dafür völlig ungeeignet ist. Wir haben kein separates Arbeitszimmer und mussten uns immer wieder neu absprechen, damit wir ungestört unsere Telefonate und Videokonferenzen abhalten konnten.

 

Als die ersten Covid-Fälle in der Kita unserer Tochter auftraten, war das Chaos perfekt. Wir waren plötzlich zu dritt zuhause, mit einem knapp zweijährigen Kind, das in Quarantäne war und rund um die Uhr Aufmerksamkeit beanspruchte. Wir haben eine Art Schichtbetrieb eingeführt und kümmerten uns abwechselnd um unsere Kleine, die  nicht verstand, warum sie nicht mehr mit den Nachbarskindern spielen durfte. Von morgens sechs bis abends zehn waren wir damit beschäftigt, unseren Alltag auf engstem Raum zu managen. Und das im dunklen deutschen Winter, den man als Brasilianer nur aus Erzählungen kennt! Wo wir herkommen, scheint nahezu immer die Sonne und die Temperaturen fallen nie unter 20 Grad. Wir haben wesentlich mehr Wohnraum, häufig auch Garten und Pool, und Unterstützung durch die Familie und Haushaltshilfen. 

 

Während des zweiten Lockdowns in Deutschland waren wir für längere Zeit in Brasilien und haben dort unseren Arbeitsplatz eingerichtet. Die Annehmlichkeiten im Umkreis unserer Familien waren wunderbar und wir genossen diesen Luxus. Aber alles hat seine zwei Seiten und das schlechte Krisenmanagement in unserem Heimatland bedrückte uns sehr. Jede Stadt, jede Provinz hatte dort ihre eigenen Regeln im Umgang mit Covid. In meiner Heimatstadt zum Beispiel herrschte über viele Monate ein sehr strenger Lockdown. Man konnte aber jederzeit in die Nachbarstadt fahren, wo Geschäfte und Restaurants geöffnet waren. Keiner wusste, was Sache war, es fehlte jede Form einer zentralen Koordination und unser Präsident behauptete, Covid sei nicht mehr als ein Schnupfen.

 

Mit der Zeit realisierten wir, dass wir uns in Deutschland sicherer und behüteter fühlten. Das erleichterte die Rückkehr im Februar. Die berühmte deutsche Bürokratie ist manchmal anstrengend. Aber die Deutschen halten sich an Spielregeln und gehen weniger spontan an die Dinge heran als wir. Das hilft in der Krise sehr und wir waren am Ende glücklich, hier zu sein.

 

Natürlich hoffen wir, uns bald wieder frei bewegen zu können. Wir sind mit so vielen Plänen nach Europa gekommen, die wir alle auf Eis legen mussten. Aber jetzt sind die ersten Reisen gebucht!

12. Juli 2021

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Wilson (45) ist Projektmanager bei der UNESCO und lebt seit Anfang 2019 mit seiner Familie in Bonn.

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