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Ursula und Friedhelm

GARTENKONZERTE

Am 22. März 2020 folgten wir dem bundesweiten Aufruf an alle Musiker, bei offenen Fenstern den Finalsatz von Beethovens 9. Sinfonie auf unseren Instrumenten zu spielen, die Ode an die Freude. Es war ein ungemütlich kalter Lockdown-Sonntag, aber pünktlich um 18 Uhr haben wir tapfer Flöte und Fagott gespielt - erst einstimmig, dann zweistimmig und anschließend sogar noch ein Duett von Beethoven als kleine Zugabe.

 

Am nächsten Sonntag wiederholte sich das ‚Deutschlandkonzert‘. Diesmal öffneten wir nicht nur die Fenster, sondern auch die Terrassentür, vor der inzwischen der Frühling stand. Das Programm hatten wir während der Woche weiter ausgebaut und freuten uns über Applaus und Bravo-Rufe aus der Nachbarschaft. Es fühlte sich gut an, in dieser sorgenschweren Zeit mit unserer Musik in die Häuser und Herzen unserer Mitmenschen vorzudringen. Außerdem blieben wir dadurch auch fit auf unseren Instrumenten.

 

Am dritten Wochenende sind wir zum Konzertieren in den Garten umgezogen. Ein paar Nachbarn kamen hinzu, brachten Gebäck und Wein mit und wir stellten coronakonform Bänke und Stühle weit auseinander auf. Eine Tradition war geboren, an Aufhören war jetzt nicht mehr zu denken. Bald bekam unser kleines Ensemble sogar Verstärkung: unsere Tochter und deren Mann, die Geige bzw. Cello studierten, spielten mit und boten uns die Gelegenheit, neue Stücke für vier Stimmen zu adaptieren. Es wurden ungeahnte kreative Kräfte frei, für die im normalen Orchesteralltag bedauerlicherweise sonst wenig Zeit bleibt. Zuletzt lernten wir sogar endlich das Notenschreiben am Computer.

 

Jeden Sonntag präsentierten wir ein neues Programm und wurden dabei immer mutiger. Schließlich meinten wir, wir könnten uns doch auch mal an eine Oper wagen. Verdis Rigoletto sollte es sein und tagelang haben wir an der Umsetzung für unsere Instrumente gearbeitet und an Lesetexten, die unseren Besuchern die Handlung nahebringen sollten. Mit Hüten haben wir die Protagonisten kenntlich gemacht, damit fassbar wurde, welche Figur gerade agierte. Dann kam Verdis Troubadour an die Reihe, der uns absolut fesselte. Endlich haben wir die komplizierte Handlung und deren Aktualität bis in die heutige Zeit hinein verstanden. Nachgestellt haben wir sie mit selbst gebastelten Stabpuppen aus Tennisbällen.

 

Irgendwann hat die Lokalpresse über uns berichtet und es kamen Leute in Scharen, auch solche, die wir nicht kannten. Das ging zwölf Wochen lang so, bis im Sommer die Coronaregeln gelockert wurden und alle wieder mehr Bewegungsfreiheit hatten. Die Theater blieben zwar weiterhin geschlossen, aber mit unseren neu erworbenen E-Bikes konnten wir jetzt auch mal was für die körperliche Fitness tun.

 

Der folgende lange Lockdown-Winter war zu kalt, um unsere Gartenkonzerte wieder aufzunehmen. Wir konzentrierten uns auf unsere Privatschüler und darauf, jungen Menschen durch Musik etwas Abwechslung in ihren tristen Homeschooling-Alltag zu bringen.

 

Als Orchestermusiker und städtische Angestellte sind wir einigermaßen glimpflich durch diese Krise gekommen. Gefehlt hat uns das gemeinsame Musizieren mit den Kollegen. Mit unseren Gartenkonzerten wollten wir für unsere Nachbarn einen Impuls zum Miteinander geben und dem Gefühl von Einsamkeit entgegenwirken. Für uns waren sie die Beendigung des musikalischen und künstlerischen Leerlaufs. 

20. September 2021

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Ursula (63) ist Flötistin im Bonner Beethoven-Orchester und Friedhelm (66) Solo-Fagottist im Philharmonischen Orchester Hagen.

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