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Susanne

BRATKARTOFFELN UND SPIEGELEI

Dieses Virus war wie ein Bremsklotz, von heute auf morgen war unser Leben nicht mehr das alte. Ich hatte im März 2020 gerade ein Projekt für einen neuen Kunden gestartet und musste mich von jetzt auf gleich auf remote work umstellen. Als Freiberuflerin besaß ich zum Glück alles, was ich dafür brauchte. Ich war sogar ein wenig erleichtert, weil sich meine Reisezeiten reduzierten. Also habe ich einfach weiter gearbeitet und war dankbar, dass ich Arbeit und eine erfüllende Aufgabe hatte.

 

Aber irgendwann begann auch ‚Das große Sitzen’. Der Winter war trostlos und das Leben fühlte sich immer schwerer an. Weihnachten verbrachte ich alleine mit meinem Vater und war traurig, dass ich diesmal meine geliebten Nichten nicht sehen konnte.

 

Der absolute Ausnahmezustand begann mit einem Anruf meines Vaters an einem Sonntag im Februar: Er war positiv getestet worden und mit hohem Fieber und starkem Husten in häuslicher Quarantäne. Bis dahin war er mit seinen 85 Jahren rüstig und versorgte sich und sein Haus mühelos alleine. Jetzt hatte er plötzlich keinen Appetit mehr und schwächelte sehr. Ich dachte, er stirbt. Nicht an Corona, sondern an seiner Angst. Und keiner durfte zu ihm!

 

Es waren turbulente Tage. Mein Job beanspruchte mich sehr und gleichzeitig fühle ich mich wie eine Krisenmanagerin, organisierend zwischen meinem kranken Vater, der Familie und den Nachbarn, die für ihn einkauften. Bald registrierte ich, dass er immer schneller abbaute und wusste: ich muss da hin! Also habe ich Brot für ihn gebacken, mir ein schönes Kleid angezogen und an einem sonnigen Samstag die gute Autostunde bis zu seinem Wohnort zurückgelegt. Meine Provianttüte stellte ich vor seine Tür und setzte mich ein paar Meter entfernt im Vorgarten auf einen Klappstuhl. Er saß im Hausflur und wir konnten uns unterhalten.

 

In die Tüte hatte ich auch eine schwarze Plüschkatze gepackt, die ihm in seiner Isolation Trost spenden sollte. Nie werde ich vergessen, wie er diese auf sein Herz legte und zu weinen begann. Ich habe meinen Vater nur drei Mal weinen sehen: beim Tod meiner Mutter, beim Tod unseres Hundes und eben jetzt. Es war gut, dass ich da war, ein besonderer Moment der Nähe.

 

Die Krankheit zog sich über mehrere Wochen. Mit hochkalorischer Trinknahrung und anderen Maßnahmen griff ich nach jedem Strohhalm und bat schließlich sogar seine Hausärztin, ihm zu versichern, dass er für sein Alter über eine hervorragende Grundkonstitution verfügte und sehr gute Chancen hatte, wieder gesund zu werden. Das wirkte. Kurz darauf erzählte er mir am Telefon, es gehe ihm viel besser und er habe sich gerade Bratkartoffeln mit Spiegelei gemacht. Ein Wunder! Mein Vater achtet nach mehreren Vorerkrankungen sehr auf eine gesunde Ernährung und mir war klar: damit ist er im Leben zurück.

 

Heute ist er stolze 86 und nimmt wieder ganz normal am Alltag teil. Er kocht und isst mit Appetit, geht zum Sport, empfängt Gäste und hat gerade eine Augenoperation locker überstanden.

 

Kürzlich gab er mir das Kätzchen zurück. „Der kleine Kerl hat mir gute Dienste geleistet,“ sagte er, „jetzt brauche ich ihn nicht mehr.“

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13. Juli 2021

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Susanne (56) ist Change- und Kommunikationsberaterin und immer in Bewegung. Am liebsten tanzend oder mit dem Golfschläger.

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