Susanne
BLAUE AUGEN
Die Hotelbranche in Deutschland hat überlebt. Mit deftigen Einbußen zwar, aber es ist absehbar, dass wir uns erholen werden. Zu Beginn der Krise schienen sich da weit schlimmere Folgen anzubahnen. Ich verantworte die Organisations- und Personalentwicklung einer deutschen Hotelkette mit 60 Häusern und 3.500 Beschäftigten, die damals nahezu alle in Kurzarbeit geschickt wurden. Die beruflichen und persönlichen Herausforderungen waren enorm. Auch mein Job kam auf den Prüfstand, andere Unternehmen haben solche ‚Luxuspositionen‘ direkt von der Gehaltsliste gestrichen. Uns war jedoch klar, dass es jetzt wichtiger denn je sein würde, für stabile Strukturen und eine wertebasierte Kultur zu sorgen, die sowohl Mitarbeiter als auch Gäste für uns einnehmen. So habe ich als eine unter wenigen in Teilzeit weitergearbeitet.
Ebenfalls von der Kurzarbeit ausgenommen war die Gruppe unserer Azubis. Denn ihnen gegenüber haben wir eine Ausbildungspflicht. Wir machten sie kurzerhand zu ‚Hausmeistern‘, die den Notbetrieb in den Häusern gewährleisteten. Ein Hotel komplett herunterzufahren verursacht höhere Kosten, als es auf Minimalniveau laufen zu lassen. Die jungen Leute sorgten für Ordnung, öffneten täglich in jedem Zimmer die Wasserhähne (Stichwort Legionellen), fuhren die Computersysteme hoch und versorgten die wenigen Gäste, die mit Sondergenehmigung reisen durften. Eine Rolle, die sie wunderbar auf spätere Aufgaben vorbereitete.
Wir mussten weder Häuser abstoßen noch Entlassungen vornehmen. Dennoch verloren wir ein Drittel unserer Belegschaft, das sich in dieser unsicheren Situation beruflich neu orientierte. Heute suchen wir ebenso wie unsere Wettbewerber händeringend nach Personal. Das ist unsere größte Post-Corona-Sorge. Viele fahren momentan Doppelschichten, einige Hoteldirektoren arbeiten wie vor 20 Jahren an der Rezeption mit. Ganze Etagen müssen geschlossen bleiben, weil der Zimmerservice fehlt. Aber diese Situation hat uns enger zusammenrücken lassen und die Teams vor Ort leisten Großartiges.
Ich engagiere mich seit 25 Jahren in der Hotellerie, habe zwanzig davon im Ausland verbracht, und tausche mich mit Kolleginnen und Kollegen rund um den Globus aus. Deshalb weiß ich sehr zu schätzen, wie besonnen und klug die Deutschen mit der Krise umgehen und wie gut in unserem Land für uns gesorgt wird. So sind wir schließlich mit ein paar blauen Augen davongekommen und unsere Häuser waren schnell wieder sehr voll. Der Geschäftsreisesektor schwächelt zwar nach wie vor, aber die Reiselust ist ungebrochen. Insbesondere die Auslastung der Hotels in den Urlaubsdestinationen von Sylt bis Garmisch ist sensationell, denn viele Deutsche reisen zurzeit lieber im Inland.
Persönlich bin ich ohne nennenswerte Blessuren durch die vergangenen eineinhalb Jahre gekommen. Krisen gehören zum Leben dazu und ich habe viele erlebt. Auch diese hat mir gezeigt: ich habe ihnen etwas entgegenzusetzen. Corona holt das Beste und das Schlechteste aus den Menschen heraus. Häufig hat sich zugespitzt, was sich lange vorher abgezeichnet hat. Unausgesprochene Konflikte zum Beispiel kulminierten jetzt häufig, manche Beziehung ging in die Brüche. In meinem Fall hat es meine Partnerschaft intensiver werden lassen und die Liebe zu meiner Familie vertieft. Ich bin zudem unendlich dankbar, dass ich einen Beruf habe, der mich seit einem Vierteljahrhundert jeden Tag aufs Neue anspornt und mit Freude erfüllt. Das ist ein großes Geschenk und bestimmt keine Selbstverständlichkeit.
22. Oktober 2021

Susanne (54) leitet die Organisations- und Personalentwicklung einer deutschen Hotelkette und ist nahezu unbeschadet durch die Krise navigiert.