Simone
UNTERWERFUNG
Ich bin Domina. Wenn nicht gerade Pandemie ist. Und die hat uns Sexarbeitenden mächtig zugesetzt. Mitte März 2020 hatte ich für lange Zeit meinen letzten Termin. Es ging alles so schnell, dass ich nicht einmal mehr meine Klamotten vom Studio mit nach Hause nehmen konnte. Ein Jahr lagen die dort im Spind.
Dieser Job ist meine einzige Einnahmequelle. Etliche Kolleg:innen sind auf ‚online’ umgeschwenkt. Darauf war ich nicht eingerichtet. Zumal ich mit meiner Familie und unseren sechs Katzen auf dem Land lebe, wo das Internet nicht immer stabil ist. Trotzdem zähle ich zu den Privilegierten meines Berufsstandes. In den Bordellen oder Laufhäusern etwa war die Situation deutlich schwieriger. Dort hatten vor allem viele Migrant:innen weder einen festen Wohnsitz noch die Kohle, um in ihr Heimatland zurückzukehren. Irgendwann wurde deren Lage so prekär, dass sie in manchen Städten kostenfrei in den jeweiligen Einrichtungen bleiben durften, obwohl das Prostituiertenschutzgesetz verbietet, dass du in den Räumlichkeiten übernachtest, in denen du arbeitest.
Ich hatte ein Dach über dem Kopf, aber finanziell war Ebbe. Anspruch auf staatliche Mittel besaß ich nicht, meine Familie, Partner und einige Kunden haben mich unterstützt. Diese Abhängigkeit war ein Albtraum! Selbst als meine beiden Kinder noch klein waren, habe ich immer für mich selbst gesorgt. Außerdem hatte ich jetzt sehr viel freie Zeit und keinerlei Perspektive.
Die Idee zur Durchführung einer Sexarbeitskonferenz kam da gerade richtig. Zusammen mit einigen Kolleg:innen und dem ‚Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.‘ (BesD) konferierten wir im September 2021 zwei Tage lang darüber, wie wir gegen die Stigmatisierung unseres Berufsstandes angehen und unsere Arbeitsbedingungen verbessern können. Ich habe Monate und viel Kraft in dieses Projekt gesteckt, es hat mich aber auch mental über Wasser gehalten.
COVID-19 hat die Probleme unserer Branche einmal mehr verdeutlicht. Jetzt war klar zu sehen, wohin ein Arbeitsverbot führen kann, wie es z.B. in Frankreich oder Schweden schon heute existiert (Nordisches Modell). Viele mussten trotzdem anschaffen, um zu überleben, und sind somit in die Illegalität abgerutscht. Fazit: Kriminalisierung öffnet der Zwangsprostitution Tür und Tor, drückt die Preise und mindert die Sicherheit dramatisch.
Ich habe viel über meine Zukunft nachgedacht. Das Alter ist ja bei Dominas kein Problem und ein breites Spektrum erotischer Wünsche wird es immer geben. Das Verlangen nach temporärer Unterwerfung als Ausdruck selbstbestimmter Geschlechtlichkeit ist ein Teil davon. Trotzdem möchte ich künftig gewappnet sein und mich spezifisch weiterbilden. Zum einen im Bereich der Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderungen. Zum anderen im Sexualcoaching, um denen zu helfen, die mit ihren Vorlieben hadern oder Probleme mit ihrer Identität oder in ihrer Partnerschaft haben. Solche Beratungsgespräche sind auch remote möglich.
Vieles ist bei mir zurzeit im Umbruch. Ich lebe polyamor und denke über eine Verlagerung meines Wohnsitzes und meines Arbeitsortes nach. Aber erst einmal stottere ich meine Schulden ab. Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei, also zieht das Geschäft nur langsam an. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen sich impfen lassen, damit jeder wieder die Regie über sein Leben und seine Lust übernehmen kann.
26. Oktober 2021

Simone (44) arbeitet seit einigen Jahren als Domina und denkt viel über private und berufliche Veränderungen nach.