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Peter

DAS IST HIER KEIN NETFLIX!

Es ist gut, dass wir der Online-Schule den Rücken gekehrt haben. Mein Unterricht gewinnt seine Lebendigkeit aus der Situation. Die besten Stunden sind für mich die, die sich von selbst entwickeln, die ganz woanders enden als vorgesehen. Das funktioniert aber nur, wenn ich auf Stimmungen im Raum reagieren kann, wenn ich auch die nonverbalen Signale registriere. Online ist das nicht möglich. Hinzu kommt, dass ich in einem Dorf mit damals noch sehr schlechter Internetverbindung lebe. In den ersten Monaten war ich deshalb mangels Bandbreite gezwungen, die Videofunktion abzuschalten. Ein Großteil der Unterrichtszeit spielte sich da auf der Metaebene ab: „Hört ihr mich?“ „Ich glaube, ich bin rausgeflogen.“ „Wir hören Sie nicht mehr.“ Fürchterlich!

 

Ich habe mich hartnäckig geweigert, den Stundenplan eins zu eins digital abzubilden. Sechs Stunden am Bildschirm wollte ich meinen Schülern nicht zumuten. Unterricht ist doch kein Netflix! Und schlimmer noch: die Hauptsorge des Kultusministeriums war wieder einmal die Leistungsbewertung. Schon immer stehe ich Schulnoten kritisch gegenüber. Damit treiben wir unseren Kindern den Spaß am Lernen aus. Anfangs freuen sie sich riesig, endlich in die erste Klasse zu kommen. Später sagen sie, der letzte Schultag sei der schönste ihres Lebens gewesen. Da läuft doch etwas falsch! Das Wort Schule leitet sich vom altgriechischen σχολή [skʰoˈlɛː] ab, und das bedeutet Freizeit, Muße, Müßiggang. Ein Privileg, das früher nur Kindern zugutekam, die nicht körperlich zu arbeiten brauchten. Heute wird das kaum noch geschätzt.

 

Irgendwann während des Lockdowns wurde die Zahl der Klausuren dann doch reduziert, aber statt ganz auf sie zu verzichten, wurden sie in die letzten Wochen vor den Ferien gepackt. Endlich hatten wir einmal motivierte Schüler, die froh waren, in die Schule zurückzukehren. Und schwups stopfte man ihnen den Tag mit Arbeiten voll. Was für Amateure sitzen da in den Ministerien?

 

Wir liegen heute deutlich unter Niveau, vieles ist nachzuholen. Vor allem die Kinder in den unteren Jahrgängen weisen häufig Verhaltensstörungen und Leistungsdefizite auf. Da gibt es erhöhten Betreuungsbedarf. Helfen soll u.a. das Programm ‚Löwenstark’, für welches das Land Hessen umfangreiche Mittel in Förderunterricht und Lernmaterialien investiert. Aber genügt das? Die Kinder waren zwei Jahre lang weder im Sportverein noch im Musikunterricht und haben kaum Freunde getroffen. Und jetzt stecken wir die, die nur aufgrund der Sonderregelungen das Klassenziel erreicht haben, in die Nachhilfe. Wir nehmen ihnen also das, was sie gerade jetzt benötigen.

 

Nach zwei Jahren Pandemie bin ich erschöpft und es zwackt im Rücken. Ich habe mich über meine Corona-Zulage gefreut. Aber im Grunde wäre dieses Geld besser bei denen aufgehoben, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Ich bin Beamter, während andere nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen. Trotz aller Fehler im System bin ich froh, dass ich Lehrer bin und meinen Teil zur Bewältigung der Pandemiefolgen beitragen kann.

 

Ich glaube, heute würden wir die Schulen nicht mehr schließen. Im März 2020 aber war das die richtige Entscheidung. Es gab keinen Impfstoff, die Lage war unübersichtlich, das Risiko musste minimiert werden. Da war jedes Mittel recht. Auch wenn wir im Nachhinein vielleicht sagen, wir haben mehr kaputt gemacht als gewonnen.

 

11. Februar 2022

Peter Höfle-17.jpg

Peter (59) ist Lehrer für Deutsch, Latein und Griechisch an einem hessischen Gymnasium und blickt nach zwei Jahren Pandemie skeptisch zurück, aber zuversichtlich nach vorne.

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