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Nils

AUF DEM ZAHNFLEISCH

Alles lief nach Plan. Mein Kollege und ich hatten gerade erfolgreich das erste Jahr als selbständige Zahnärzte hinter uns gebracht. Im Januar 2020 haben meine Frau und ich nach langer Suche ein Haus erworben und kurz vor Ausbruch der Pandemie ist unsere zweite Tochter zur Welt gekommen. Wir waren die letzte Familie, die in der Klinik ein Elternzimmer bekam. Danach wurde die Station für Besucher und Angehörige dicht gemacht. Ich hatte einige Wochen frei genommen, war komplett im Babyrausch und realisierte erst nach und nach, was da jenseits unseres Wochenbettglücks passierte. 

 

Schließlich musste mein Partner mich doch einschalten. Der Verwaltungsaufwand in der Praxis war immens und wichtige Entscheidungen standen an. Eines galt von Beginn an: Dichtmachen kam nicht in Frage. Wir hätten einen Versorgungsauftrag, lautete die offizielle Formel, und seien systemrelevant. Was also war zu tun? Die erforderliche Ausstattung besaßen wir. Unsere Hygienebeauftragte hatte ganze Arbeit geleistet und ausreichend Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe bevorratet. Aber wie sollten wir mit unseren Patienten und mit unserem Team umgehen? Und wie mit den aufkommenden Existenzängsten? Was, wenn ich meine Kredite nicht mehr abzahlen könnte, wenn meine komplette Lebensplanung den Bach runterginge? Das erste Quartal 2020 war mit Abstand die schlimmste Phase der letzten beiden Jahre.

 

Wir beschlossen, nur noch Schmerzpatienten anzunehmen. Routinebehandlungen wie Prophylaxe oder Zahnreinigung boten wir nicht mehr an. Unser Team teilten wir in zwei Gruppen ein, deren Arbeitszeiten nicht überlappten, und wir verstärkten unsere Hygienevorkehrungen. Die Bank kam uns netterweise entgegen, so dass wir das Kurzarbeitergehalt unserer Mitarbeiterinnen aufstocken konnten und ich trotz des reduzierten Einkommens in der Lage war, die Raten für Praxis und Immobilie zu stemmen.

 

Im Sommer, als die Ausgangsbeschränkungen gelockert wurden, begann ich sogar, die gewonnene Freizeit zu genießen und mit meiner älteren Tochter Ausflüge in die Natur zu machen. Den ganzen Tag haben wir im Wald gespielt und Wildschweine gejagt. Daran erinnert sich die Kleine noch heute. Außerdem konnte ich meiner Frau mit dem Baby helfen. Mein Ausgleich ist der Laufsport, den konnte ich jederzeit ausüben. Langsam kehrte die Zuversicht zurück.

 

2021 haben wir erforderliche Umbauten und Modernisierungen in der Praxis vorgenommen. Das war riskant, aber im Rückblick ein Segen. Erstens haben wir durch die temporäre Mehrwertsteuersenkung ordentlich gespart. Zweitens hätten wir heute beim Kauf unseres neuen Röntgengeräts mit massiven Lieferengpässen zu kämpfen.

 

Den Patienten bieten wir inzwischen wieder unser gesamtes Leistungsspektrum an. Da ist jetzt so mancher abgebrochene Zahn zu reparieren. Unser Team hat zusammengehalten und ich glaube, dass alle wissen, wie wichtig sie uns sind - und die ganze Zeit über waren. Wir sind gut über die Runden gekommen. Auch war uns immer bewusst, dass andere Berufszweige wie z.B. die Gastronomen viel schlimmer dran waren als wir.

 

Heute habe ich einfach keine Lust mehr auf Covid & Co. Seit zwei Jahren beherzigen wir alles, was wir können, um Risiken maximal zu minimieren. Jetzt will ich endlich zurück zur Normalität! Und das bedeutet für mich, dass ich meinen Patienten die Hand geben und meine Freunde umarmen kann.

09. Februar 2022

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Nils ist Zahnarzt, Jungunternehmer, Familienvater und Leichtathlet. Der Hindernislauf zählt nicht zu seinen Lieblingsdisziplinen.

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