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Natascia

KUNST
BRAUCHT RAUM

Für uns im Kulturbetrieb ist es ganz normal, flexibel zu agieren und kreativ mit neuen Gegebenheiten umzugehen. Das können wir und das konnten wir auch im vergangenen Jahr - obwohl es natürlich ein Schlag ins Gesicht war, am Morgen nach einer Vernissage einfach schließen zu müssen. Wäre das eine Angelegenheit von ein paar Wochen gewesen, kein Problem. Aber ein Quasi-Berufsverbot über einen so langen Zeitraum, das war bitter. Die Planungssicherheit, die wir brauchen, ist vollständig verloren gegangen. Seit März 2020 schieben wir Veranstaltungstermine hin und her, ohne zu wissen, was im kommenden Monat geht und was nicht. Energie für Neues wird für Aufgaben aufgebraucht, die wir normalerweise nur am Rande tätigen, Büroarbeit eben. Energie wäre aber so wichtig, um kreativ arbeiten zu können. 

 

Ich bin eine Art Bindeglied zwischen Künstlern und Publikum. Kultur lebt von diesem Zusammenspiel, lebt von Begegnungen, für die ich eine Umgebung biete. Ich will mit Ausstellungen, Konzerten und Performances aller Art gerade auch Kunst jenseits des Mainstreams erfahrbar machen.

 

Klar kann man versuchen, ins Digitale auszuweichen. Aber das ist eine andere Qualität. Kunst hat die Fähigkeit, zu inspirieren, zu irritieren und damit Seele und Geist zu öffnen. Dabei ist die räumliche Erfahrung essenziell. Ich werde mich nicht an eine Ausstellung erinnern, die ich vom Sofa aus gesehen habe. Aber den Nachmittag mit Freunden im Museum kann ich später immer wieder abrufen. Und wenn in einer Konzerthalle alle um mich herum ausrasten, dann hat das einen anderen Effekt als wenn ich zuhause am Computer sitze. Auch ein Bild an der Wand lebt von seiner Beziehung zum Raum.

 

Mir fehlte - und fehlt bis heute - der offene öffentliche Dialog über die Rolle von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft und für das Wohl der Menschen. Natürlich standen Existenzsicherung und finanzielle Kompensation zunächst im Vordergrund. Aber wo bleibt die Diskussion darüber, warum wir bei Aldi einkaufen oder im Flieger sitzen, nicht aber zu dritt ins Museum gehen dürfen? Und darüber, warum die Veranstaltungs- und Kulturbranche häufig im Stich gelassen wird, während den großen Konzernen Milliarden überwiesen werden.

 

Der nächste Herbst steht vor der Tür, die Inzidenzen steigen und auf unserer Agenda stehen Themen wie Belüftung, Sitzpläne und Hygiene noch immer ganz oben. Das nimmt unserer Arbeit viel Leichtigkeit, die wir aber gerade abseits des Alltags vermitteln wollen. Irgendwann ist Corona hoffentlich eine Krankheit wie alle anderen. Wir werden geimpft sein und gelernt haben, mit dem Virus zu leben. Wir werden zu einer neuen Leichtigkeit finden und nicht jedes Gespräch wird sich nach spätestens zwei Minuten diesem Thema zuwenden. Unser Publikum wird ohne Angst in die Fabrik45 kommen, den Alltag vergessen und Spaß haben. Dann werde auch ich die alte Freude an meiner Arbeit wiederfinden.

 

Es wird eine große Herausforderung, das Kulturgewerbe wieder hochzufahren, und nicht alle von uns werden dann noch da sein. Umso wichtiger ist es, dass Räume wie die Fabrik45 überleben. 

 

09. August 2021

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Natascia (53) ist Kulturschaffende und betreibt in Bonn die Fabrik45, eine ‚Möglichkeitswiese‘ für Künstler, Musiker und andere Kreative.

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