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Ina

GEHT NICHT GIBT'S NICHT

Wir hatten das Restaurant vor genau einem Jahr übernommen, als am 18. März die Verordnung kam, sofort zu schließen. Die letzten Renovierungsmaßnahmen waren gerade abgeschlossen und alle finanziellen Reserven aufgebraucht - die Katastrophe war perfekt. Schließlich hatte ich die alleinige Verantwortung. Mein Mann war in Elternzeit und ich die Hauptverdienerin.

 

Ich setzte auf das To-Go-Prinzip und das war das Beste, was ich tun konnte. Um das Mittagsgeschäft anzukurbeln, habe ich jeden Sonntag 2.500 Mal die Wochenkarte gedruckt und zusammen mit meinem Mann und meinem damals zweijährigen Sohn in die Briefkästen unseres Viertels verteilt.

 

Unsere Gäste und Nachbarn waren sehr loyal und unterstützten uns nach Kräften. Aus drei Mittagessen pro Tag wurden schnell mehr. Dazu kam rasch und unbürokratisch die staatliche Soforthilfe, mit der ich meine Mitarbeiter bezahlen und die Fixkosten begleichen konnte. So haben wir den ersten Lockdown bis Mitte Mai relativ gut überstanden und in dieser Zeit sogar zahlreiche neue Gäste erreicht. Es war ein guter Sommer.

 

Schon im August begannen wir mit den Vorbereitungen für den Winter. Ich war schwanger und neue Corona-Einschränkungen zeichneten sich ab. Um nicht wieder mit leerer Kasse dazustehen verwandelten wir den Außenbereich in eine Art Zeltlager mit Heizstrahlern und einer schönen Lounge. Für drinnen kaufte ich einen Raumluftreiniger, ließ Plexiglasscheiben anfertigen und die Lüftungsanlage generalüberholen. Unsere Gäste sollten sich auch im Winter sicher fühlen. Umso härter traf uns die Nachricht, dass wir zum 2. November wieder dicht machen müssen. Also zurück ins To-Go-Geschäft. Ich rechnete von Beginn an mit einer Schließung bis Ostern. Wir brauchten also neue Ideen.

 

‚Glüh dich glücklich’ brachte die Rettung. Unter diesem Motto bauten wir vor dem Restaurant eine Holzhütte auf und boten Heißgetränke und Selbstgebackenes an. Niemals hätte ich mit diesem überwältigenden Erfolg gerechnet! Jeden Abend fanden sich lange Menschenschlangen ein. Da standen dann die Diplomatengattin und der Bauarbeiter zusammen, unterhielten sich auf den Bürgersteigen und genossen ein kleines bisschen Freiheit.

 

Sieben Monate lang haben wir uns so über Wasser gehalten. Mit Glühwein und heißer Schokolade, später mit Cocktails und Eiscreme. Die versprochenen staatlichen Hilfeleistungen für den zweiten Lockdown sind bis heute nicht bei uns angekommen und die Existenzangst war riesig. Keine einzige Nacht habe ich wirklich ruhig geschlafen. Immer war ich auf der Suche nach neuen Ideen.

 

Aber ‚Geht nicht gibt’s nicht‘, das war schon immer meine Devise. Und am Ende wurden wir dafür belohnt, dass wir durchgehalten haben. Ich konnte alle meine Mitarbeiter halten, zahlreichen Menschen ein Stück Normalität geben und hatte sogar mehr Zeit für meine Familie als sonst. Viele der staatlichen Corona-Maßnahmen sehe ich bis heute sehr kritisch. Aber lamentieren und den Kopf in den Sand stecken ist nicht meins.

 

Aus heutiger Sicht würde ich alles genauso wieder machen. Und für den nächsten Winter haben wir vorgesorgt. So oder so.

26. Juni 2021

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Ina (37) ist eine erfahrene Gastronomin und führt mit Liebe und Leidenschaft das Restaurant Schumann’s in Bonn.

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