Frank
EIN TEELÖFFEL MEHR
Das Besondere an der Wache GABI ist, dass Polizei und Ordnungsamt hier eng abgestimmt und auch räumlich zusammenarbeiten. Seit fast 30 Jahren sind wir für die Bonner City zuständig, also für die Fußgängerzone, den Bahnhofsbereich und die umliegenden Flächen. Wir versehen vorwiegend Fußstreife, weil wir dadurch die Menschen besser erreichen. Und das sind häufig Angehörige von gesellschaftlichen Randgruppen wie Betäubungsmittelkonsumenten oder Nicht-Sesshafte. Eine gemeinsame Dienststelle wie die unsere ist in NRW einzigartig und dieses Erfolgsmodell hat sich auch in Zeiten der Pandemie bewährt.
Die zahlreichen neuen Covid-Regeln und Verordnungen betrafen zunächst einmal das Ordnungsamt. Die Kolleginnen und Kollegen der Stadt Bonn waren also besonders gefordert - und personell gar nicht in der Lage, die Einhaltung der Kontaktverbote und Hygienevorschriften vollumfänglich sicherzustellen. Wir waren daher von Beginn an gemeinsam unterwegs, zumal klassische Polizeieinsätze wie zum Beispiel bei Ladendiebstählen abnahmen. Die Fußgängerzone war ja menschenleer.
Es war eine wirklich arge Herausforderung, Menschen, bei denen der überwiegende Teil des Tages darin besteht, sich mit anderen zu treffen, um Drogen oder Alkohol zu konsumieren, genau daran zu hindern. Da hatten wir gewaltige Akzeptanzprobleme, zumal in diesem Milieu auch andere Krankheiten seit Jahrzehnten ignoriert werden. Aber wir kennen die Szene und die Szene kennt uns. Durch unsere gute Vernetzung mit den Trägern der Wohlfahrtshilfe, dem Jugendamt und anderen Einrichtungen konnten wir häufig schnell und unbürokratisch Hilfsangebote machen.
Erschreckend war, dass Leute verbal und körperlich aggressiv auf uns reagierten, von denen ich das nach 35 Dienstjahren nie erwartet hätte. Da hat sich plötzlich der Opi, der mit seinem Enkel spazierenging, wegen eines Hinweises auf die Maskenpflicht ernsthaft mit uns angelegt. Das waren keine typischen Rebellen, das waren einfach genervte Menschen. Als Polizisten sind wir es gewohnt, Blitzableiter für unbeliebte staatliche Vorschriften zu sein. Von uns wird erwartet, dass wir Fingerspitzengefühl haben und allen gerecht werden. Aber hier war noch ein Teelöffel mehr gefragt. Auch das eingeschränkte Versammlungsrecht hat uns einiges abverlangt: ob das die Welt der Querdenkerdemos war, die wir uns erst mal begreiflich machen mussten, oder aber die Partyszene, die sich aus den Clubs in Parks und auf andere Freiflächen verlagert hat. Feiern im Freien geht in der Regel mit Vermüllung einher, mit Ruhestörung, Wildpinkeln und bei zunehmendem Alkoholisierungsgrad mit Straftaten. Das geht nahtlos ineinander über und auch hier war es von Vorteil, dass wir Hand in Hand mit dem Ordnungsamt zur Stelle waren.
Keiner ahnte, dass all das länger als ein paar Wochen dauert. Sonst hätten wir es nervlich vielleicht gar nicht durchgestanden. Polizisten sind auch nur Menschen und viele von uns waren in großer Sorge um ihre Familien und Angehörigen. Mit unserem starken Teamgeist sind wir aber bis heute gut über die Runden gekommen. Wir arbeiteten zeitweise in zwei Dienstgruppen, die sich zum Schichtwechsel nur im Freien begegnen dürfen. Der Publikumsverkehr in unseren Räumen wurde rigoros eingeschränkt und spielt sich ebenfalls meist outdoor ab. Gleichwohl wünsche ich mir schon etwas mehr Alltag zurück. Das Erstellen von Vernehmungsprotokollen auf offener Straße darf nicht zur Normalität werden.
10. September 2021

Frank (52) ist Erster Polizeihauptkommissar und Leiter des polizeilichen Teils der ‚Gemeinsamen Anlaufstelle Bonn Innenstadt‘ (GABI).