Arezu
HIMMEL UND ERDE
Ich bin in Teheran aufgewachsen, in einer Metropole mit 14 Millionen Einwohnern. Der Lärm der Straßen begleitete mich durch meine Kindheit und sang mich abends in den Schlaf. Später zog ich mit meiner Familie nach Los Angeles, wo es nicht weniger laut war. Und jetzt eine kleine Gemeinde im südlichen Rheinland mit ihren 1400 Einwohnern! Diese Stille war neu für mich.
Mein Mann und ich sind Wissenschaftler. Er arbeitet als Astrophysiker am Bonner Max-Planck-Institut, ich bin Astrochemikerin und Doktorandin am IPAG, einer astrophysikalischen Einrichtung in Grenoble. Seit vielen Jahren bestimmt das Reisen mein Leben. Ich pendle zwischen Deutschland, Frankreich und den USA und fühle mich überall zuhause. Nun lernte ich also, mich in der ländlichen Abgeschiedenheit einzurichten. Wir fingen an, unser Brot selbst zu backen, Möbel zu bauen und uns exzessiv im Garten zu betätigen.
Es war eine glückliche Fügung, dass wir am 3. März 2020 geheiratet hatten, also wenige Tage vor dem ersten Lockdown, den wir später humorvoll unseren Honeymoon nannten. Direkt nach der Hochzeit fuhr ich zurück nach Frankreich, um die Forschungen für meine Doktorarbeit wieder aufzunehmen. Am Sonntag, den 15. März sollten landesweit Kommunalwahlen stattfinden und man konnte förmlich riechen, dass es danach zu Einschränkungen kommen würde. Die Corona-Fallzahlen stiegen rapide. Ich buchte kurzerhand ein Zugticket und reiste noch am selben Wochenende zurück nach Deutschland. Alle Züge und Bahnhöfe waren gespenstisch leer.
Jetzt war also Homeoffice angesagt. Gut, dass ich für meine Analysen nur mein Laptop benötigte. Um die Bildung von Molekülen im Weltraum zu untersuchen, verbinde ich Informationen aus der Chemie und der Astronomie. Dazu modelliere ich zuvor gewonnene Daten, was ich im Prinzip überall tun kann. Ich war froh, in Deutschland zu sein. Freunde in Frankreich benötigten ein Vierteljahr lang einen Passierschein, wenn sie ihr Haus verließen. Mehr als eine Stunde Ausgang war nicht erlaubt.
Kurz vor Beginn des 2. Lockdowns trat Gaia in unser Leben. Eine wunderbare Boxerhündin, die fortan unseren Alltag aufmischte. Sie ist mein erstes Haustier und ich lernte schnell, dass ein Welpe dich rund um die Uhr braucht. Es war also das perfekte Timing und wir genossen es, zu dritt zu sein.
Im März reiste ich in die USA und nutzte die Gelegenheit, mich impfen zu lassen. Dadurch konnte ich im Sommer fast sorglos einige Konferenzen besuchen. Aber die Freude währte nicht lange. Das verheerende Hochwasser im benachbarten Ahrtal trübte Mitte Juli die unbeschwerte Rückkehr zur Normalität. Die Flut hat ganze Dörfer niedergewalzt, viele Menschen haben alles verloren. Wir zögerten nicht lange, zogen zu meinen Schwiegereltern und überließen unseren Wohnraum für einige Wochen einem Ehepaar, dessen Zuhause zerstört worden war.
Nach all diesen Turbulenzen werde ich mich in den kommenden Monaten auf meine akademische Tätigkeit konzentrieren, um bis zum Jahresende die Promotion abzuschließen. Ich habe meine Booster-Impfung erhalten und alles getan, um mich und andere zu schützen. Wir alle sollten mehr auf die Wissenschaft hören. Hier geht es um die Sicherheit einer ganzen Gesellschaft, nicht um die Befindlichkeiten Einzelner oder um politische Interessen. Science is about facts!
11. November 2021

Arezu (32) ist Astrochemikerin und interessiert sich dafür, was die Welt im Innersten zusammenhält. Nicht nur beruflich.